Gießer

Hilliger oder Hilger

ist der Familienname einer sächsischen Glocken- und Geschützgießerdynastie, die seit Beginn des 15. Jahrhunderts in Freiberg und später auch in Dresden ansässig war und bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Sachsen nachweisbar ist.

Die bedeutenden Vertreter der Familie sind

(1)     Hans (um 1350 – 1420), auch Kannegießer genannt, der als Stifter eines Legats für den Dreifaltigkeitsaltar in der Nikolaikirche in Freiberg im Jahr 1412 nachgewiesen ist. Ihm können die ältesten Hilligerglocken in St. Michaelis (1408) und Burkersdorf (1415) zugeschrieben werden.

(2)     Hans (um 1390 – 1460) und

(3)     Nicol (um 1415 – 1481). Ihre Glockengüsse für die Freiberger Stadtkirchen gingen bei den Stadtbränden von 1471 und 1484 verloren. Nachweisbar sind Nicols Glocken in Bieberstein und Chemnitz, St. Johannis aus dem Jahr 1475.

(4)       Oswald (um 1450 bis 14.06.1517) verleiht in seiner 1482 neu errichteten Gießhütte           dem Glockenguss in Freiberg einen außerordentlichen Glanz. Mehr als 100 Glocken aus seiner Werkstatt sind nachweisbar, darunter die großen Glocken im Dom zu Freiberg mit 4570 kg, in der Petrikirche in Freiberg mit 3790 kg, in der Marienkirche in Borna mit 2250 kg und in der Nikolaikirche in Freiberg mit 2050 kg. Seine Glocken zeichnen sich durch eine sehr sorgfältig gearbeitete Glockenzier aus.

Oswald
Oswald Hilliger: Freiberg, Petrikirche, Glocke 1 (Foto Jürgen Hübler)

(5a)   Martin (14.12.1484 – 15.06.1544) goss am 26.09.1560 gemeinsam mit seinem Bruder Andreas (5b, 1486 – 1560) die wohl schwerste Hilligerglocke (165 Ctr. ~ 8200 kg)  für die Kirche St. Peter und Paul in Görlitz. Diese Glocke ging beim Kirchenbrand 1691 verloren.

Nach dem Tod des Vaters ging Andreas als Rotgießer nach Breslau, Martin goss bis zu seinem Tod nachweisbar mehr als 50 Glocken, daneben aber auch eine erhebliche Anzahl Geschütze für die sächsischen Herzöge Georg und Heinrich sowie Grabplatten für Angehörige der albertinischen Herzogsfamilie. Bemerkenswerte Glocken aus seiner Werkstatt sind die Gedächtnisglocke Maria der Dresdner Frauenkirche (1518), das Dreiergeläut der Naumburger Stadtkirche St. Wenzel (1518), die Schlagglocke für die Thomaskirche in Leipzig (1539, Verlust am 22.12.1943)  und die Glocke im Wachturm von Geyer (1539) mit einem Gewicht von 3500 kg. Im Auftrag des Kardinal Albrecht von Brandenburg goss er 1521 die nicht mehr vorhandene Glocke für das neue Stift in Halle (120 Zentner, 6000 kg), wofür ihm und seinen Nachkommen ein Wappenbrief von Kaiser Karl V verliehen wurde.

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Martin Hilliger: Naumburg, St. Wenzel Dreiergeläut (Foto Stadtmuseum Naumburg (cc-by-sa)

 

(6a)  Wolf (30.11.1511 – 30.11.1576) und Bruder Oswald (6b, 1518 – 1546) setzten mit dem Guss der Luthertafel (1545) für die erste reformierte Kirche in der Schlosskapelle zu Torgau neue Maßstäbe für die Leistungsfähigkeit der Hill’gerschen Gießhütte.

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Wolf Hilliger: Torgau, Schlosskapelle, Luthertafel, Ausschnitt (Foto Jürgen Hübler)

 

Wolf Hilliger gilt als die schillerndste Persönlichkeit der Familie. Er goss ebenso wie seine Vorgänger nachweisbar mehr als 80 Glocken, darunter die Glocke 2 für die Thomaskirche in Leipzig (3100 kg), die Glocke für St. Niklas in Ehrenfriedersdorf (2460 kg) sowie für die Petrikirche in Freiberg (1950 kg). Daneben musste er den stets steigenden Bedarf der sächsischen Kurfürsten an gegossenen Geschützen abdecken, 1567 wurde er mit der Einrichtung einer kurfürstlichen Gießhütte in Dresden betraut und letztlich zum Kurfürstlichen Stückgießer berufen. Mit der Lieferung von Geschützen an die Fürsten und Herzöge von Weimar, Braunschweig, Küstrin und Pommern wurde der Name Hilliger zu einem Gütesiegel weit über die Grenzen Sachsen hinaus.

Daneben goss er zahlreiche Grabplatten für die Angehörigen des sächsischen Hofs, allerhöchste Aufmerksamkeit erreichte er jedoch mit der Fertigung des Epitaphs für Herzog Philipp I von Pommern, das noch heute an den Verstorbenen und gleichermaßen an dessen Gießer in der Petrikirche von Wolgast erinnert.

 

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Wolf Hilliger: Wolgast, Petrikirche, Epitaph (Foto Walter Klingner)

Wolf Hilliger war einer der reichsten Bürger der Stadt. Er engagierte sich als Ratsherr und Bürgermeister in Freiberg und fand seine letzte Ruhe hochgeehrt in der Petrikirche des Stadt. Bruder Oswald wurde als Geschützgießer an den Pommerschen Hof berufen, starb aber bereits mit 28 Jahren und wurde in der Jakobikirche in Stettin beigesetzt. Wolfs Söhne Martin und Wolfgang erlernten ebenfalls das Gießerhandwerk und setzten Hill’gersche Erfolgsgeschichte in Freiberg und Dresden fort.

(7a)   Martin (1538 – 05.09.1601) hatte bereits zu Lebzeiten des Vaters die Verantwortung für die kurfürstliche Stückgießerei in Dresden übernommen. Nach dessen Tod war das neuerbaute Zeughaus bald wohlgefüllt, so dass der Kurfürst seinem Stückgießer bereitwillig erlaubte, für Karl II von Steiermark Kanonen für den Kampf gegen die vordringenden Osmanen zu fertigen. Während seines 12jährigen Aufenthaltes in Graz goss Martin 185 Geschütze und 8 Glocken mit einem Gesamtgewicht von 4095 Ctr. Sein Meisterstück, die Lies’l auf dem Grazer Schlossberg wird noch heute täglich um 7, 12 und 19 Uhr mit 101 Schlägen geläutet. Sie ist mit 4633 kg die schwerste noch existierende Hilligerglocke. Nach Dresden zurückgekehrt setzt er den Guss von Geschützen und Glocken als bestallter kurfürstlicher Stückgießer fort, neben den sächsischen Kurfürsten wird Kaiser Rudolf II in Prag ein wichtiger Abnehmer für seine Kanonen.

Martin
Martin Hilliger: Graz, Schlossberg (Foto Uoaei1 (cc-by-sa)

Die Söhne Martin (8a) und Johannes (8b) wurden ebenfalls Gießer und mehrten in Prag unter Kaiser Rudolf II und in Dresden unter den sächsischen Kurfürsten den Ruhm der Familie Hilliger.

(7b)   Wolfgang (06.09.1545 – 04.04.1614) übernahm die Freiberger Gießhütte nach dem Tod des Vaters. Seine Glocken folgten in der Ausführung dessen Vorbild. Besondere Beachtung verdient das von ihm gegossene Geläut für St. Bartholomäus in Waldenburg. Er engagierte sich wenig in der Öffentlichkeit, galt aber als Wohltäter für die Armen. Seine Söhne Gabriel und Zacharias (8c) gründeten nach seinem Tod die Firma „Gabriel und Zacharias Hilliger“, wo bis zum Jahr 1684 rund 140 Glocken für Sachsen, Böhmen und angrenzende Lande gegossen wurden.

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Wolfgang Hilliger, Waldenburg, St. Bartholomäus, Glocke 3, Glockenzier (Zeichnung Emil Büchner)

(8a)  Martin (02.04.1565 – 30.06.1621) folgte nach dem Tod des Vaters einem Ruf nach Prag an das Kaiserhaus als „‚Zeugwart und Buchsengießer“. Bereits seinem Bestallungsschreiben kann man entnehmen, dass der kunstbesessene Kaiser Rudolf II seinen Gießer auch für den Guss der Kunstwerke seines Hofbildhauer Adrian de Vries benötigte. So konnte in jüngster Zeit nachgewiesen werden, dass der Zeugwart in Prag die Büste des sächsischen Kurfürsten Christian II goss, Sachverständige vermuten, dass das Gesamtwerk aus der Prager Zeit des Skulpteurs von Martin Hilliger gegossen wurde. Nach dem Tod des Kaisers im Jahr 1612 verschlechtert sich seine die materielle Absicherung, bis zu seiner Bestallung durch Kaiser Ferdinand gießt er zahlreiche Glocken für die Kirchen in Böhmen. Ein späteres Angebot des sächsischen Kurfürsten zu einer Bestallung kann Martin Hilliger bereits wegen „Leibesschwachheit“ nicht mehr annehmen. Er stirbt am 30. Juni 1521 in Prag kinderlos und wird vermutlich am 5. Juli 1521 in Chemnitz begraben.

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Adrian de Vries: Churfürst Christian II, gegossen von Martin Hilliger“ (Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden ©)

(8b)  Johannes Hilliger (08.02.1567 – 24.04.1640) führt als kurfürstlicher Stückgießer die Dresdner Werkstatt weiter, gießt neben den Geschützen auch zahlreiche Glocken, u.a. die Geläute für St. Anna in Annaberg, für St. Ägidien für Oschatz, für die Marienkirche in Eilenburg sowie für die Dreikönigskirche und die Annenkirche in Dresden. Daneben sind in den 40 Jahren seiner Tätigkeit zahlreiche Geschütze, Grabplatten und gegossenes Beiwerk aus dem Kurfürstlichen Gießhaus hervorgegangen. Hervorzuheben sind ein gegossenes Kruzifix, welches für die Elbbrücke bestimmt war und heute auf der Karlsbrücke in Prag zu bewundern ist.

Johannes
Johannes Hilliger: Prag, Karlsbrücke, Kruzifix“ (Foto: Pavlin Ines)

 

Johannes Hilliger ist bereits 1601 Ratsherr und ab 1614bis zu seinem Tod mehrfacher  Bürgermeister in Dresden. Sein Sohn Hans Wilhelm (1605 – 1649) wird nach seinem Tod Leiter des kurfürstlichen Gießhauses, stirbt aber bereits ohne bemerkenswerte Leistungen 1649 kinderlos. Damit endet das Wirken der Familie Hilliger in Dresden.

(8c)   Gabriel (19.03.1580 – 29.10.1633) und Zacharias (16.11.1581 – 29.01.1648) Hilliger führten den Glockenguss in Freiberg zu neuer Blüte. Die Glocken aus ihrer Werkstatt fanden in Sachsen und Böhmen, aber auch in den anderen angrenzenden Ländern ihre Käufer. Die Qualität ihrer Glockenzier stand der ihrer Vorfahren in keiner Weise nach, der starke Bedarf an Bronze für das Gießen von Geschützen erlaubte jedoch nur noch den Guss kleinerer Vertreter. Nach dem Tod von Gabriel und der Zerstörung der Gießhütte im Dreißigjährigen Krieg errichtete Zacharias eine vierte Werkstatt in der Petersstraße in Freiberg. Dort wurden von ihm und seinem Brudersohn Gabriel nach den Kriegswirren der erfolgreiche Glockenguss wieder aufgenommen.

(9a)   Gabriel (16.10.1614 – 12.10.1684) setzt den Glockenguss nach dem Tod von Zacharias erfolgreich fort. Er gießt zahlreiche  Glocken für Böhmen darunter die große Glocke für das Kloster in Osseg.

Gabriel
Gabriel Hilliger, Kloster Osseg(CZ) (Zeichnung Emil Büchner)

Die letzte Glocke aus seiner Werkstatt war im Jahr 1684 ein Werk für die Jakobikirche in Freiberg.

Sein Sohn Gabriel (27.09.1677 – 11.02.1756) war beim Tod des Vaters zu jung, um das traditionelle Handwerk seiner Vorfahren fortzusetzen. Von ihm sind keine Glocken bekannt geworden. Er selbst widmete sich dem Bergbau und dem Hüttenwesen in Freiberg. Mit einer von ihm initiierten Gedenktafel für das beim Brand der Petrikirche verlorene Epitaph für seinen Ahnen Wolf Hilliger und der Inschrift auf der gestifteten Taufglocke der Petrikirche

„… zerschmolzen den 1. Mai 1728, umgegossen den 1. Dezember 1745 denen Hilliger zu Ehren durch die Veranstaltung Gabriel Hilligers Hüttenschreibers allhier

erinnert er an die lange Tradition und das bemerkenswerte Wirken seiner Familie in und für die Stadt Freiberg.

Gedenktafel
Freiberg, Petrikirche Gedenktafel für Wolf Hilliger, gestiftet von Gabriel Hilliger (Foto Petrikirche Freiberg)